Es ist 4:00 Uhr am Morgen als der Duft von Dilli‘s Porridge in der Luft liegt. In Lycra gekleidet, haben sich Dilli, Schmale und Schinger um den Topf herum versammelt. Es gilt die Kohlenhydratspeicher zu füllen. Exakt 26 Minuten später brechen wir in Richtung Sault auf. Die Trikottaschen gefüllt mit der bevorzugten Ernährung für unterwegs. Während Schinger auf Kohlenhydratgels setzt, bevorzugen Dilli und Schmale die Stulle mit Banane.

Bis Sault geht es bergab. Perfekt um auf Betriebstemperatur zu kommen. Bei sternenklarer Nacht sehen wir am Himmel viele Sternschnuppen aufleuchten. Es fällt schwer bei diesem wunderschönen Naturschauspiel die Augen auf der Straße zu behalten. Die Müdigkeit verleitet ebenfalls zum Träumen. Erst als ein Reh im Schein der Fahrradlampen die Straße kreuzt sind wir hellwach und schärfen die Sinne. Es erinnert uns daran, dass Leichtsinn auch in den folgenden Stunden kein guter Begleiter sein sollte. Am Mont Ventoux sterben jedes Jahr ca. ein Dutzend Radsportler an Erschöpfung oder riskanter Fahrweise.

Um 4:50 Uhr zückt Schinger seine Stempelkarte des Club des Cinglés du Mont-Ventoux. Am Ortsschild von Sault wird die Uhrzeit notiert und ein Foto zur Beweisführung gemacht. Dies ist notwendig um sich später den benötigten Stempel zu holen. Den Stempel bekommt man eigentlich im ganzen Ort. Egal ob Restaurant, Bar, Cafe oder Kiosk. Einfach die Karte zücken und schon wissen alle um was es geht. Noch ist allerdings alles geschlossen, bis auf das Surren unserer Ketten ist im gesamten Ort nichts zu hören.

Die Stempelkarte ist wieder verstaut und es geht los. Nach einer kurzen Abfahrt passieren wir den Bach ‚Nesque‘. Ab nun geht es bergauf. Wir pedalieren verhalten was aufgrund der moderaten Steigung etwas Überwindung kostet. Diese ist nicht sonderlich spektakulär – 7 bis 8 % dürften auf den ersten 12 Kilometern das höchste der Gefühle sein. Doch wir müssen heute mit den Kräften gut haushalten. Ein zu hohes Tempo würde sich bitter rächen. In der Dunkelheit überholt uns ein Mädel und wirft uns ein freundliches „Bonjour“ zu. Wir erreichen Kilometer 12 und es wird noch leichter. Es flacht fast vollständig ab und die Kette wandert nach rechts. Gute 7 km rollen wir nun entspannt bis zum Chalet Reynard. Hier treffen die Auffahrten von Sault und Bedoin zusammen. Nun folgt der Schlussanstieg. Die Baumgrenze ist erreicht und wir tauchen ein in die charakteristische Mondlandschaft des Ventoux. Nach gut einem Kilometer ist endgültig Schluss mit lustig. Obwohl der Funkturm uns recht nah erscheint, so liegen noch 5 Kilometer mit einer durchschnittlichen Steigung von 8 Prozent vor uns. Mittlerweile fallen von Osten die ersten Sonnenstrahlen über den Kamm.

Im Schatten des Mont Ventoux

Eigentlich wollten wir zum Sonnenaufgang bereits oben sein. Ok, wir wollten eigentlich auch um 4 Uhr starten… Also nicht weiter ärgern. Wir treffen auf die ersten Mitstreiter. Ein Franzose kämpft sich an uns heran. Er ist in Bedoin gestartet und will ebenfalls in den Club der Verrückten. Wir unterhalten uns ein wenig auf Englisch (tatsächlich!). Von unserer gewählten Reihenfolge der Befahrungen ist er etwas verwundert. Er warnt uns noch vor der Auffahrt von Malaucène, welche er persönlich als die schwierigste einschätzt, und verabschiedet sich als wir für einen andächtigen Moment inkl. Foto am Tom Simpson Memorial anhalten.

Tom Simpson Gedenkstätte

Der letzte Kilometer liegt vor uns und ziemlich konstant an der 10% Marke geht es hinauf. Besonders die letzte Kurve hat es mit knapp 17% Steigung noch einmal in sich.

Oben angekommen genießen wir die grandiose Aussicht über die Provence bei herrlichem Sonnenschein und klarer Sicht. Es ist 7:30 Uhr als wir uns in Seelenruhe mit dem Gipfelschild ablichten. Dilli und Schmale lockern die Beine mit Dehnübungen.

Sommet

Yoga am Mont Ventoux

Die Vorspeise hat bereits den Zweck erfüllt. Der Appetit ist gedämpft. Die letzten Happen haben gezeigt, dass dieses Menü nicht einfach zu verschlingen sein wird.

Als Windweste, Buff und Armlinge sitzen, stürzen wir uns zu dritt in die Abfahrt in Richtung Bedoin. Auch hier wollen wir es langsam angehen lassen, keine unnötigen Körner verschwenden. Auf ‚Einfach runter rollen‘ haben wir uns geeinigt. Zugegeben, es fällt uns schwer. Es dauert nicht lange bis unsere Hintern im Rausch der Geschwindigkeit auf das Oberrohr wandern. Auf unnötige Pedalumdrehungen lassen wir uns trotzdem nicht ein. Die Hangabtriebskraft zieht uns verlässlich nach unten. Ab dem Chalet Reynard nimmt der Gegenverkehr zu. Wir tauchen in den Wald ein. Die Bäume stehen bedrohlich nah am Straßenrand. Während uns anfänglich einzelne Fahrer entgegen gekommen sind, so stoßen wir mittlerweile auf ganze Gruppen. Dazu gesellen sich auf unserer Fahrspur einige Läufer. Ja richtig, LÄUFER! Damit hatten wir nicht gerechnet. Bei Geschwindigkeiten um die 85 km/h kommt man sich nun vor wie der Bobfahrer im Eiskanal. Mental sollte man das nicht unterschätzen. Anspannung und Puls fallen erst nachdem der Wald uns wieder ausspuckt. Es wird übersichtlich und flacht ab. Auf den letzten 5,5 Kilometern bis zum Ortschild von Bedoin können wir somit noch etwas entspannen.

To be continued…